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Das Ensemble

 

Ensemble Zwischentöne

1988 von dem Komponisten Peter Ablinger in Berlin gegründet. Hervorgegangen aus einem Kurs für experimentelle Musik und Improvisation an der Musikschule Kreuzberg, besteht das Ensemble Zwischentöne auch heute noch aus einer Mischung aus Laienmusikern und Profis. Diese Mischung ist Konzept. Sie bewahrt die Arbeit vor Routine und falscher Professionalität und ermöglicht die permanente Grenzüberschreitung, die das Leitmotiv der Zwischentöne ist.
In den Anfangsjahren des Ensembles war die Zusammenarbeit auf Berliner Komponisten gerichtet; inzwischen haben Komponisten und Klangkünstler wie Nader Mashayekhi, Georg Nussbaumer, Christian Wolff, Sven-Åke Johansson, Maria de Alvear, Walter Zimmermann, Alvin Lucier, Pauline Oliveros, Antoine Beuger, Benedict Mason, Klaus Lang und viele andere für das Ensemble komponiert, das sein Aufgabengebiet in all jenen Stücken seit Beginn der sechziger Jahre sieht, in welchen unübliche Instrumente, Spielorte, Aufführungspraktiken oder Notationsformen Gegenstand der Auseinandersetzung sind.


Die KomponistInnen

(Sternchen stehen für Uraufführungen): Gösta Neuwirth**, Dieter Schnebel, Gisela Klein*, Mauricio Kagel, John Cage, Christos Kokkolatos*, Angela von Moos***, Franz Martin Olbrisch*, Gerhard Müller-Goldboom, Roman Haubenstock-Ramati, Peter Ablinger****, Chico Mello, Helmut Lachenmann, Karlheinz Stockhausen, Helmut Zapf**, Steve Reich, Nader Mashayekhi***, Inge Morgenroth*, Barbara Monk Feldman, Björn Wilker, Jakob Ullmann, Christian Wolff**, Ellen Fricke***, Morton Feldman, Sven-Åke Johansson***, Johannes Bauer**, Maria de Alvear**, Pauline Oliveros*, Walter Zimmermann*, Alvin Lucier*, La Monte Young, Martin Supper*, Juliane Klein*, Georg Nussbaumer****, Isabel Mundry*, Vinko Globokar, Klaus Lang***, Tom Johnson, James Tenney, George Brecht, Robert Ashley, Daniel Ott*, Orm Finnendahl*, Stefano Giannotti*, Michael Hirsch**, Hauke Harder*, Antoine Beuger**, Benedict Mason*, Robin Hayward*, Rolf Julius*, Sergei Zagni*, Sergej Newski*, Natalia Pschenitschnikowa*, zeitblom*, Akio Suzuki*, Makiko Nishikaze*, Mark Trayle*.

 

 

Ensemblemitglieder

Ständige Gäste

 

„Outside sight unseen and opened – Erkundungen mit dem Ensemble Zwischentöne“, von Frank Kämpfer (In: Neue Zeitschrift für Musik, Heft „Berlin! Berlin!“, November / Dezember 1999)

„Zwischenspiel“, von Ellen Fricke (In: Zehn Jahre Zwischentöne, Programmheft, Mai 1998)

 

 

 


 

 

 

Ensemblemitglieder

 

 

Peter Ablinger, künstlerische Leitung

Nach frühem Klavierunterricht hat sich der 1959 im österreichischen Schwanenstadt Geborene zunächst weder für die klassische noch für die Neue Musik begeistert, sondern für den Free-Jazz. Und statt Komposition studierte er – in Linz – Grafik. Die Nähe zum Jazz und zur Malerei impliziert eine innere Distanz zur musikalischen Tradition, die erheblich zu Ablingers Entwicklung als Komponist beigetragen hat. Nach Studien bei Gösta Neuwirth in Graz und Roman Haubenstock-Ramati in Wien lebt Ablinger seit 1982 in Berlin. Er hat dort 1988 das Ensemble Zwischentöne gegründet, das er auch heute noch leitet. 1989-92 gestaltete er das Festival der „Kreuzberger Klangwerkstatt“, 1997 das Festival „Insel Musik“. 1993 war er Gastprofessor an der Musikhochschule in Graz. 1998 erhielt er den Förderpreis des Berliner Kunstpreises.

Zur Site von Peter Ablinger: http://ablinger.mur.at/

 


Hans-Ulrich Altenkirch, Vibraphon

Geboren 1957 in Berlin, Arzt und Gestalttherapeut. Als Laienmusiker viele Jahre dem Jazz verbunden. Unterricht bei Manfred Burzlaff (Vibraphon) und Heinz von Moisy (Schlagzeug). Mehrjährige Fortbildung an der Freien Kunstschule Berlin. Seit 1992 im Ensemble. Teilnahme an visuell-akustischen Projekten. Verwendet Musik in der Psychotherapie.

 

Benedikt Bindewald, Violine

Geboren 1981 in Frankfurt am Main, aufgewachsen in Fulda. Erster Klavierunterricht mit 6 Jahren, erster Geigenunterricht mit 8 Jahren, studiert seit 2001 Geige an der Universität der Künste Berlin. Neben Konzerten mit klassischen Repertoire zahlreiche Aufführungen im Bereich Neue Musik, Experimentelles Musiktheater und Freie Improvisation, u.a. mit Michael Quell in Fulda und mit Daniel Ott in Berlin sowie beim Festival für Neue Musik/Theater/ Installationen in Rümlingen (Schweiz). Daneben Beschäftigung mit Elektroakustischer Musik und Computermusik.


Kurt König, Schlagzeug

Der Schlagzeuger Kurt König ist 1955 in Trier geboren. Er studierte bei Karl Peinkofer in München und an der dortigen Jazzschule. Er spielte, sang und schauspielerte in einer Rock-Theatergruppe und spielt in verschiedenen Jazz- und Rockformationen.
Bei seinen eigenen Konzepten geht es ihm um die musikalische Gestaltung von Innen- und Außenräumen. Diese verwirklicht er u. a. mit der Performancegruppe „L’Autre Pas“, z. B. bei 2 x 6 Wege in Situ am Pfefferberg, Quadratur III, dem Tanzvideo Der graue Keil in Zusammenarbeit mit der Tanzwerkstatt Berlin, oder mit Groscht u. a. in Der Zeremonienmeister. Hierzu gehört auch die Zusammenarbeit mit Tänzern und Choreographen. So arbeitete er u. a. für das Tanzfest „Tanz im August“ mit den Choreographen Klaus Abromeit, Luisa Casiraghi, Lucinda Childs, Regina Baumgart, Reinhild Hoffmann und Joel Liennel. Er arbeitet als Musikpädagoge mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Behinderten. Ist seit 1991 Mitglied des Ensemble Zwischentöne.

 

 

Kurt König



Susanne Paul, Violoncello

Susanne Paul wurde 1970 in Kalifornien geboren. Während ihrer Schulzeit in Hamburg spielte sie E-Bass und E-Gitarre in Rock- und Punkbands. An der HdK Berlin studierte sie Schulmusik mit Hauptfach Cello. Bei String Thing (Streichquartett mit Schwerpunkt Jazz und Groove) ist sie als Cellistin und Komponistin tätig. Ausserdem ist sie Mitglied von "Tres" (Streichtrio für argentinischen Tango) und dem Ensemble Dezibell (Neue Musik und Jazz), Mitgründerin des Streichorchesters Chamber Orchestra of Groove und in freien Projekten tätig.


Volker Schindel, Akkordeon, Klavier

Geboren 1971 in Darmstadt. Spielt Akkordeon seit 1977. Studierte in Berlin Schulmusik mit Schwerpunkt Experimentelle Musik sowie DME Klavier an der Hochschule der Künste, Philosophie an der Humboldt-Universität.
Körpertheaterstudien in London. Freiberuflich tätig als Musiker und Darsteller.
Spielte öfters als Gast unter anderem mit der Gruppe Die Maulwerker. 2003 bis 2007 Musikdozent an der berliner schule für schauspiel. Als Akkordeonist vor allem Aktivitäten im Theaterbereich und mit dem Duo Musette Brachiale. Seit 2007 Schwerpunkt auf der Arbeit der Trio-Formation schindelkilliusdutschke.

 

 

Dorothee Sporbeck, Susanne Reuther

Dorothee Sporbeck und Susanne Reuther

 

Dorothee Sporbeck, Flöte

Flötistin und Flötenlehrerin. Geboren 1963. Studium an der Hochschule der Künste Berlin. Musikwissenschaftliche Studie zur Geschichte der Privatmusikerziehung. Freiberuflich tätig in verschiedenen Bereichen u. a. „Os Batutas virtuais“ (brasilianisches Choro- Ensemble), Zusammenarbeit mit Erzählern (Geschichten- und Märchenprogramme mit „klassischer“ Musik).

Chiyoko Szlavnics, Saxophon

Als Komponistin und Musikerin (Saxophon/Querflöte) in Kanada und Europa tätig. Nach ihrem Studium an der University of Toronto (1985-89) spielte sie mit den experimentellen Ensembles "Hemispheres" und "40 fingers" in Toronto und studierte Komposition bei James Tenney. 1997 erhielt sie ein einjähriges Stipendium an der Akademie Schloß Solitude. Seither lebt und arbeitet sie hauptsächlich in Berlin.


Helles Weber, Klavier, Akkordeon

studierte Tonmeister an der Hochschule der Künste Berlin und ist seitdem als freier Tonmeister und Musiker in verschiedensten Bereichen tätig.

 

 

Josef Huber, Helles Weber

Josef Huber und Helles Weber

 

 

Ständige Gäste

 

Erik Drescher, Flöte

Geboren 1972 in Bremen. Studium der Flöte bei Carin Levine und Hans-Jörg Wegner an der Hochschule für Musik Detmold. Teilnahme an diversen Meisterkursen, u. a. bei Auréle Nicolet, Roberto Fabbriciani, Robert Aitken; private Studien bei Robert Dick. Mehrmalige Teilnahme an den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt.
Konzerttätigkeit im In- und Ausland solistisch (u. a. auf Festivals wie „artGenda“ Stockholm; Festival Internacional de Música Electroacustica „Primavera en La Habana“ Cuba; Musikprotokoll im Steirischen Herbst Graz; HerbstZeitTon ORF Wien; Nachwuchsforum des Ensemble Modern und der GNM; projektgruppe neue musik Bremen; Einladung zum Nachwuchsforum des Ensemble Modern und der Gesellschaft für Neue Musik Frankfurt), sowie kammermusikalisch (z. B. mit Marianne Schroeder, Thürmchen Ensemble Köln, die reihe Wien, Klangforum Wien, Ensemble Modern Orchestra). Mitbegründer des ensemble x-pol batterie und von [DRESCHER.OKABE.ARMBRUSTER].
Schwerpunkt zeitgenössische Musik. Arbeit mit Komponisten wie Peter Ablinger, Beat Furrer, Younghi Pagh-Paan, Adriana Hölszky oder Salvatore Sciarrino, aber vor allem mit jungen Komponisten. Anregung zu Werken u. a. von Christoph Ogiermann, Klaus Lang, Uwe Rasch, Bernhard Lang, Dror Feiler und Alvin Lucier. Zahlreiche Uraufführungen.

 

Robin Hayward, Tuba

Der Tubist Robin Hayward wurde 1969 in Brighton, England geboren und lebt seit 1998 in Berlin. Er hat das Potenzial der Tuba in den Bereichen Noise und Mikrotonalität neu definiert. Seine Kompositionen für andere Instrumente spiegeln einen ähnlichen experimentellen, medienspezifischen Ansatz wieder. Seine speziellen Spieltechniken wurden von Komponisten wie Alvin Lucier und Christian Wolff verwendet. Er tourte ausgiebig sowohl als Solist wie auch in Zusammenarbeit mit anderen Musiker/innen. Seine bisherigen Forschungen wurden sowohl durch seine Solo- CDs Valve Division und States of Rushing wie auch durch diverse Aufnahmen in Kollaborationen dokumentiert. Er ist in zahlreichen Ensembles der neuen und experimentellen Musik aktiv, u.a. Phosphor, und dem Kammerensemble Neue Musik Berlin. 2005 gründete er Zinc & Copperworks, um die Spielmöglichkeiten von Blechblasinstrumenten weiter zu erforschen.

 

Robin Hayward

Robin Hayward


Josef Huber, Bandoneon

Geboren 1961 in Alteiselfing. Mit ländlicher Musiktradition und dem Schulorchester (wo wie üblich immer falsch gespielt wurde) aufgewachsen. Der Dilettant probiert verschiedene Disziplinen, bis er über die Musik Astor Piazollas 1984 mit dem Bandoneon-Fieber infiziert wird. Geigenbauer mit eigener Werkstatt in Berlin. Er schätzt es sehr, neue Instrumente zu bauen – mit dem Interessenschwerpunkt auf Alter Musik. Erstes Konzert mit dem Ensemble Zwischentöne im Sommer 1990.

 


 

Ehemalige Ensemblemitglieder

Nana Krause – E-Baß (1988), Dirk Backhaus – Saxophon (1988-1991), Ulrich Ames – Saxophon (1988-1991) , Florian Heidtmann – Saxophon (1992), Ulrike Sowodniok – Stimme (1991-1992), Christos Kokkolatos – Kontrabaß (1988-1993), Winfried Trunsch – Saxophon (1991-1993), Tatjana Rienecker – Stimme (1993), Gisela Klein – Klavier (1988-1994), Aleksander Kolkowski – Violine (1995), Inge Morgenroth – Saxophon (1994-2000), Natalia Pschenitschnikowa – Flöte (1995-2001), Maarten Voss – Organisation (1996-2002), Rainer Killius – Flöte, Bariton (1996-2002), Susanne Reuther – Violine (2000-2002), Ellen Fricke - Stimme (1988-2002)

 

 

 


 

 

Outside sight unseen and opened

Erkundungen mit dem Ensemble Zwischentöne

von Frank Kämpfer

 

Mein Material ist nicht der Klang.
Mein Material ist die Hörbarkeit.

Peter Ablinger

Am Anfang stand die Idee einer Art Rausch-Konzerts, doch im Laufe der Proben wuchs das Projekt zu einer eher grenzüberschreitenden Interaktion. Spektakulär zunächst der Aufführungsort – die opulente Toiletten-Anlage der Schaubühne am Lehniner Platz. Sie entstand kurz bevor Peter Steins Ära begann, und ihre Optik beeindruckt noch heute. Für das Ensemble Zwischentöne zählte in erster Instanz das auditive Moment. Das Instrumentarium ergab sich bei den Proben vor Ort: mit Eis, Steinen und Fossilien präparierte Becken, Spülungen live oder aus der Konserve, Sprecher und Spieler in den Kabinen und an den zwei Enden des Quergangs davor präpariertes Klavier. Drei akustische Sphären überlagerten sich: Instrumentalklang, die Maschinenmusik der Pissoirs sowie die Aktionen, Texte und Stimmen der Protagonisten.

Georg Nussbaumer, der Komponist, geboren 1964 in Linz, nennt sein Stück Der Hebel des Lichts formal eine „ineinander geschachtelte Installation“. Die sanitäre Architektur war für ihn Ausgangspunkt eines poetisch assoziationsreichen Spiels. Aus dem Damen-WC beispielsweise drangen Namen altgriechischer Helden, bei den Herren – vorab präzise konzipiert – schienen miniaturisierte Reste von Eismeer und Ur-Ozean deponiert. Ähnlich wie letztes Jahr in St. Pölten, wo ein schwarzes Klavier ein „Prinzip Afrika“ symbolisierte, hat der junge Performer auch in Berlin profanste Realität poetisiert. Hier entfaltete sich seine Klangfantasie über Metaphern und Mythen des Maritimen. Die „sozialen Funktionen des Orts“ wurden geschickt persifliert, die zweckbedingten Klänge in neue Assoziationsketten gebettet. In dieser „Charybdis aus Glas, Stahl und Chrom“ – so Nussbaumers stark literarisch geprägte Vision – erklinge ein Stück Okeanos, agiere der sagenumwobene Orfeo, träfe bei genug Fantasie James Joyce auf Homer.

Die neun Berliner Musiker und Musikerinnen, die das ungewöhnliche Opus kreierten, sind nicht ganz unerfahren mit Events solcher Art. Ihr Name ist zugleich ihr Programm. Schon als die „Zwischentöne“ 1988 entstanden, orientierte Gründer und Dirigent Peter Ablinger behutsam, aber unmissverständlich auf bis dahin in Deutschland kaum Praktiziertes: auf Projekte jenseits alles traditionell Komponierten, auf Formen zwischen Performance, Theater, Konzeptkunst und Improvisation. Am Anfang stand ein Seminar für Neue Musik, das Ablinger an der Musikschule Kreuzberg abhielt. Die den Kurs überstanden, hatten nach einem Jahr Erstaunliches über konzeptuelle Notationsweisen gelernt und erste eigene Stücke geschrieben. Aufgeführt wurde im Rahmen der 1. Kreuzberger Klangwerkstatt. Diesem ersten Konzert, wo man u. a. Angela von Moos’ Stilleben mit Flasche und Gisela Kleins Übungen für sechs Kassettenrekorder zu hören bekam, folgte der baldige Wunsch, sich als festes Ensemble zu verstehen.

Kaum einer der Akteure der ersten Stunde musizierte seinerzeit professionell, umso mehr waren alle von der Idee fasziniert, radikal neue Wege zu gehen. Wie im ersten gemeinsamen Stück Pläne und Abwege bereits anklang, bedeutete das, jeder herkömmlichen Werk- und Aufführungsform zu entsagen. Nicht aus Partituren, vielmehr aus verbalen und grafischen Skizzen, aus gestischer Demonstration und in diskussionsreichen Proben erwuchs fortan jedes Stück neuer Art. Zahlen für (mit) Münzen von Dieter Schnebel wurde als Nächstes studiert, dann Sven-Äke Johanssons Wagenstück, dessen Konzept auf einem DIN-A-4-Blatt Platz fand. Das zweite Programm konfrontierte jazznah Improvisiertes mit gestrengem Konzept. Zu lernen war bald, dass Werke erst aus praktischer Realisierung erwuchsen; das Interpretieren verlieh einem Stück seine flüchtige Form. Um auch szenisch geeignete Darbietungsweisen zu finden, galt es, Grenzbereiche zwischen Theater und Konzert zu erkunden. Manche „Partituren“ – insbesondere von Globokar, Kagel und zuletzt von John Cage – gaben das als Möglichkeit vor.

Klanglicherseits begaben sich Peter Ablinger und sein Ensemble auf ein Terrain, welches der (nicht allein musikalische) Alltag normalerweise als akustischen Abfall verschmäht. Das hieß nicht nur, bekanntem Instrumentarium neue Töne zu entlocken, sondern auch, Gerätschaften jenseits der Musik und deren akustische Qualitäten einzubeziehen. Die vielgestaltige Welt des Geräuschs erwies sich mit der Zeit als ein unendlicher Fundus – sich darin verantwortungsvoll zu bewegen, formte künstlerische Moral. Stille und Aktionslosigkeit, Reduktionen jeglicher Art wurden andererseits zum dramaturglschen Element, ja zum Charakteristikum. Die Premiere von Antoine Beugers L'horizon unanime Anfang '99 geriet dabei zum Extrem: ein halbstündiger Sinuston und später ein einzelnes leises Geräusch zwangen das Publikum, knapp eine Stunde zu schweigen.

Innerhalb des inzwischen vergangenen Jahrzehnts haben sich letztlich sehr verschiedene Komponisten – darunter Gösta Neuwirth, Klaus Lang, Maria de Alvear und Helmut Zapf – an das Ensemble gewandt und ihm stilistisch differierende, meist in Prosa notierte Ideen und Partituren zur Realisierung gegeben. Auch Ensemblemitglieder komponieren: die Sprachkünstlerin Ellen Fricke zum Beispiel, die Saxophonistin Inge Morgenroth und nicht zuletzt Ensemble-Chef Peter Ablinger selbst. Die Resultate sind von wechselnder Art. „Musiziert“; jedoch wurde und wird immer gleich: gemeinsam, live und prädigital. Mit Stimme, Körper und akustischem Instrument. Und übrigens nicht ohne Humor. Neue Medien werden zumeist ironisch, als Spielzeug benutzt, Attitüden aus der „Welt der Musik“ gerne persifliert.

Unterstützt von der Initiative Neue Musik Berlin, vom DAAD und vom British Council kombinierte das '99er-Ensembleprojekt Musik für Orte zuletzt drei hauptstädtische Lokalitäten, drei neu erarbeitete Stücke und drei exemplarische Protagonisten der Geräusch-Komposition. Der Ausgangspunkt dieser Trilogie – eine Uraufführung beim Alvin Lucier-Festival in der Parochialkirche im Bezirk Mitte – war eine Reverenz an die Historie. Für das neue Stück Heavier than Air hatte der amerikanische Klangpionier gewünscht, Klänge mittels Gasen zu fokussieren. Beim Konzert dienten gasgefüllte Ballons als akustische Linsen, um geflüsterte Texte – meist improvisierte Kindheits-Momente – im Raum akustisch bewusst zu positionieren.

Nach Georg Nussbaumers schon eingangs beschriebenem Hebel des Lichts folgte im Abschlusskonzert Benedict Masons outside sight unseen and opened / german radio station. Der britische Performer hatte das Stück als Teil seiner europäischen Reihe Musics for Concert Halls angelegt. Uraufgeführt wurde im Großen Sendesaal im berühmten Block B in der Nalepastraße, im ehemaligen Rundfunk der DDR. Aus Masons umfangreichem Material – jeweils 124 lyrischen Texten, Fotos und Skizzen – hatte Peter Ablinger gut zwei Dutzend Teile vorausgewählt und sie vor Ort mit seinem Ensemble studiert. Zur Debatte stand hier, Klänge durch Personen bewegen zu lassen. Das Netzwerk der oft endlosen Gänge des alten Rundfunks bot sich dazu hervorragend an. Selbstverständlich war die Darbietung nicht frei von politischer Konnotation. Realisiert schien in erster Instanz ein verlassener Ort, Ereignis-Armut bestimmte die Dramaturgie. Begegnete Klang an sich überhaupt, dann stets theatralisch, als Zitat, als Splitter aus einer Historie. Meist von außen nach innen, durch die geöffneten Saaltüren, drang gespenstisch ein kaum zu ortender Sound. Eine knisternde Klassik-LP, abgespielt in einem düsteren Vorraum, war Erinnerung an die Glanzzeit des langjährigen Haus-Klangkörpers, des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters Berlin. Die Zwischentöner assoziierten anfangs die Reste einer Orchesterbesetzung, zogen sich im Verlauf des zweistündigen Stücks dann auch szenisch zunehmend zurück. Das Publikum war zu Gast in der Leere. Auf bestürzende Art bot die Veranstaltung eine präzise Zustandsbeschreibung jenes gespenstischen Orts, auf dessen flackernden Fluren seit sechs Jahren allein die Geister von Gestern flanieren und wo opulente Architektur ohne sinnvolle Nutzung verfällt.

In: Neue Zeitschrift für Musik, Heft „Berlin! Berlin!“, November / Dezember 1999

 

 

Ensemble Zwischentöne

 

 

 


 

 

Zwischenspiel

von Ellen Fricke


Nun sind es tatsächlich zehn Jahre, nahezu ein Drittel meines Lebens, da kann man fast schon von einer Konstante sprechen. Zeit: freitags 18.30 Uhr, Ort: Musikschule Kreuzberg, Mariannenplatz 2, im Herzen von SO 36, direkt an der Mauer, dort, wo die Wagenburg stand, dort, wo auch Nana herkam mit E-Baß und Hund, ihre Augen wie zeitweise ihr Haar strahlendblau. Den Bogen, mit dem sie ihren E-Baß strich, lieh sie sich von unserem anderen Bassisten aus, jenem am Kontrabaß, jenem mit klassischer Ausbildung, klassischer Garderobe und klassischem Profil, der nun bogenlos geworden an seinem Instrument für ihn ganz ungewohnte Sachen trieb. E-Baß und Kontrabaß, Punk und Pinkel, Pistols und Penderecki -- Geht das denn?

Keine Frage, es ging wunderbar, nicht zuletzt dank dieses verrückten Östereichers, der sich in den Kopf gesetzt hatte, 1988 an der Musikschule Kreuzberg einen Kurs für Neue Musik und Improvisation zu geben, aus dem schließlich das Ensemble Zwischentöne entstand, und der zwei Jahre darauf die erste Kreuzberger „Klangwerkstatt“ initiierte, an der wir noch unter dem Namen „Ensemble für Improvisation und Neue Musik“ teilnahmen.

Das erste, was sich mir von Peter Ablinger zeigte, war seine Rückenansicht. Er schaute aus dem Fenster. Draußen nieselte es. Ich hatte mich ein wenig verspätet. Die Frau am Klavier warf mir einen freundlichen Blick zu, es war Gisela Klein, die spätere Pianistin unseres Ensembles. Wir beide waren diejenigen, die am folgenden Freitag wiederkamen. Aus welchem Grund? Ich hatte ein Papier mit zwölf kleinen Kästchen erhalten. In einem der Kästchen stand „Lachen“, darunter eine Reihe von Notenhälsen mit Artikulationszeichen. Ich erinnere mich nicht mehr an Einzelheiten, nur daran, daß eine Äußerungsform, die für mich bis dahin nur in einer psychologischen Reaktion bestand, sich verwandelte, etwas ganz anderes wurde, auf einmal für sich selbst stand, unabhängig von meiner Befindlichkeit. In dem Moment, da ich nicht mehr versuchte, mein Lachen durch eine in bestimmter Weise geartete Vorstellung hervorzurufen , sondern mich nur auf dessen Form konzentrierte, alles Beiläufige begleitender Körperbewegungen wegließ, wurde es präsent, wurde ich selbst präsent, indem ich es in die Zeit setzte. Ich begriff zum ersten Mal vage, daß Musik etwas in die Zeit Gesetztes ist und daß dieses Etwas viel umfassender sein kann, als ich mir bis dahin vorgestellt hatte.

Diejenigen, die blieben, blieben aus einem ähnlichen Grund wie ich. Da gab es jemanden, der uns allen Ohren an beide Seiten des Kopfes setzte, wo sie sich vorher nur physiologisch andeuteten. Keiner von uns war ein professioneller Könner, aber wir waren Finder von einer unglaublichen Findigkeit, gelenkt durch unsere Neugier, durch das, was uns jeweils in besonderer Weise eigen war, und durch die „Pläne“ Peter Ablingers, die einerseits unseren ausgeprägt anarchischen Drang begrenzten, ihm andererseits seinen Raum ließen, so daß das Unvorherhörbare entstehen konnte. So hieß unser erstes gemeinsam erarbeitetes Stück auch „Pläne und Abwege“.

In den zahlreichen Proben hatten wir einiges über Improvisation und konzeptuelle Notationsweisen gelernt, und so kam es , daß manche von uns Ideen zu eigenen Stücken entwickelten, die mit dem Ensemble ausprobiert und von Peter Ablinger präzisiert wurden. Unser erster Auftritt in einem größeren öffentlichen Rahmen fiel mit der ersten „Klangwerkstatt“ 1990 zusammen. Wir spielten dort u. a. „Übungen für sechs Kassettenrekorder“ von Gisela Klein, „Ins Nasse / Aria al Fresco“ von Peter Ablinger und „Stilleben mit Flasche“ von Angela von Moos. Angela von Moos war die erste Komponistin außer Peter, die für uns ein Stück geschrieben hat (ihm sollten noch zwei weitere folgen), und Sven Åke Johannsson, der als Performer bei „Ins Nasse“ mitspielte, war unser erster Gast. Peter muß ihn einige Zeit später gefragt haben, ob er nicht auch etwas für uns schreiben wolle. Er wollte, und wir probten sein „Wagenstück“, dessen Konzept auf einer DIN-A4-Seite Platz hatte. Das was fehlte, „erzählte“ er, deutete es gestisch an, machte es vor. Das war ungeheuer plastisch und lebendig und kam uns sehr entgegen, weil wir kaum Erfahrungen mit präzise ausnotierter Neuer Musik hatten. Sven blieb seitdem den Zwischentönen immer in besonderer Weise verbunden. Zuletzt spielten wir 1996 von ihm „Modernismen lassen sich moderieren“ im Schauspielhaus Berlin und in der Musikakademie Rheinsberg.

Das „Wagenstück“ und Dieter Schnebels „Zahlen für (mit) Münzen“, das wir zuvor auf der Klangwerkstatt aufgeführt hatten, spielten wir auch auf unserem ersten Konzert außerhalb Berlins in Weimar kurz nach der Währungsunion. Dabei geriet das Münzenstück unversehens zum Politikum. Obwohl gar nicht als solcher gedacht, wurde es als subtiler Kommentar zu den damaligen politischen Vorgängen aufgefaßt. Der Kapitalismus hielt im Osten Einzug. Es ist eine merkwürdige Koinzidenz, daß unsere Wiederaufnahme des Münzenstücks wiederum mit einer Währungsunion einhergeht. Die D-Mark wird im nächsten Jahr dem Klang des Euro weichen. Es war auch das Weimarer Konzert, wenn ich mich recht erinnere, bei dem wir zum ersten Mal unter dem Namen „Zwischentöne“ auftraten. Das Kind mußte nun unbedingt einen Namen haben. Ich erinnere mich noch, daß wir zu dritt auf der Terrasse saßen, in dem Haus, in dem Christos Kokkolatos (Kontrabaß) und Dirk Backhaus (Tenorsaxophon) zusammenwohnten, und verzweifelt nach einem Namen suchten, es war sehr heiß, und als es sich gegen Abend etwas abkühlte, zauberte Christos eine Flasche Whiskey hervor, um unserem Geist mit einem anderen Geist auf die Sprünge zu helfen. Der Abend wurde ausgesprochen amüsant und witzig, und wir hatten schließlich eine lange Liste der abstrusesten Vorschläge zusammen. Es war schließlich der Geist Peters, der uns am nächsten Tag zur Ordnung rief. Er schlug den Namen „Zwischentöne“ vor, und dabei blieb es.

„Zwischentöne -- das sind alle Töne zwischen improvisierter und komponierter Musik“, so hieß es im späteren Programmheft, „und nicht nur Töne: Die Bandbreite des Repertoires reicht von szenischen, performanceartigen Stücken (Schnebel u. a.) über frei und in den Jazz hineinreichende Improvisationen (Johannes Bauer u. a.) zu strengen Konzepten (Sven-Åke Johannsson u. a.), Kompositionen (Chico Mello u. a.) und verschiedenen Mischformen (Peter Ablinger u. a.). Komponisten und Performer nützen das Ensemble als Experimentierfeld und Werkstatt für eine Musik jenseits der abstrakten Grenze zwischen Werk und Interpretation.“
Gösta Neuwirth schrieb 1993 für unser Ensemble das Stück „L’Absence“. Es wurde Anfang Januar 1994, zum 57. Geburtstag des Komponisten im Schauspielhaus uraufgeführt. „L'Absence“, so Gösta Neuwirth im Programmheft, „haben Peter Ablinger und das Ensemble Zwischentöne sich von mir gewünscht. Sie haben mich herausgefordert, einen anderen Weg zu suchen, als ihn die Kartographie meines Gedächtnisses Jahr für Jahr genauer vorschreibt.“ Dies charakterisierte Gösta Neuwirth in einem Gespräch mit Peter Ablinger genauer:

Gösta Neuwirth: „Eine der wesentlichen Erfahrungen, die ich jetzt in die Arbeit mit dem Ensemble Zwischentöne übertragen habe, geht zweifellos auf die Theaterarbeit in Wien zurück. Wenn ich in einem Studententheater auf einer Probe etwas festlege, kann ich nicht damit rechnen, daß mir alles bei der nächsten Probe wieder abgeliefert wird. Ich muß eine Variationsbreite offenlassen; ich darf meine Vorstellungen von dem, was der Interpret macht, nicht so eng fassen. – Einem professionellen Schauspieler sage ich: du gehst jetzt fünf Schritte dorthin, dann legst du die Hand da rauf, dann gehst du mit der Stimme runter, dann machst du zwischen dem Wort und dem Wort und dem Wort eine Pause: und das merkt er sich. – Ein nichtprofessioneller Schauspieler muß eine ganz andere Art Identifikationsprozeß vollziehen (wobei mich die schon damals üblichen Methoden der Einfühlung nicht interessieren). Ich muß ihm den Text so plausibel machen, daß er sich selbst darin zurechtfindet, ich muß für ihn eine Möglichkeit finden,daß er mir zeigt, was er sich da vorstellt.
Peter Ablinger: Von deinem Stück „L'Absence“ hast du während mehrere Monate jede Woche zwei bis vier Minuten zur Probe mitgebacht; die Entstehung des Stückes kennzeichnet so eine Ungewißheit der Produktion und gleichzeitig die Reaktion auf das Vorhandene oder, könnte man sagen, auf das Ungewisse. Mir schien, daß du von Probe zu Probe genauer oder individueller auf die einzelnen Spieler reagiert hast, so daß der Arbeitsprozeß des Komponierens etwas Ähnliches war wie die Reaktion der Laiendarsteller im Theater.
G. N.: Im Sommer , als ich noch nicht mit dem Ensemble gearbeitet hatte, wollte ich mit dem Stück anfangen; da fehlte mir genau diese Art von Anschauungsgrundstoff, und mir wurde klar, daß ich, so wie ein guter Schneider, an jedem Einzelnen vom Ensemble zuerst Maß nehmen müßte, bevor ich den Anzug machen könnte.
P. A.: Du hast in „L'Absence“ eine eigene Art entwickelt, mit Wiederholungen umzugehen, was zu einer großflächigen, großzügigen Gestaltung geführt hat, die ich bei dir noch nicht kenne.
G. N.: Ich hoffe nicht , daß es eine Altersproblem ist. Als du mich gefragt hast, ob ich für die Zwischentöne etwas machen wollte, dachte ich: das ist für mich eine Chance, Ungewißheit zu erzeugen.“

Bei allen KomponistInnen, die für uns ein Stück schrieben, haben die Zwischentöne eine bestimmte Art von Reaktion herausgefordert. Wie auch umgekehrt wir uns auf den einzelnen Komponisten und sein Werk immer wieder anders und neu einstellen mußten. Wir sind daran gewachsen, weiter geworden in unseren Möglichkeiten, uns passen jetzt mehrere Anzüge. Trug der Name „Zwischentöne“ zu Beginn noch den Zusatz „Ensemble für Improvisation und Neue Musik“, so änderte sich dieser später in „Ensemble für Neue Musik und Improvisation“, bis er schließlich ganz weggelassen wurde. Darin spiegelt sich die Entwicklung der Zwischentöne wieder, die Abwendung von der Improvisation und die Hinwendung zur Komposition, zum vergleichsweise streng Ausnotierten, zum internationalen Repertoire der Neuen Musik.

Im letzten Jahr haben wir uns verstärkt dem Szenischen, dem Neuen Musiktheather zugewandt, das immer wieder ein Bestandteil unseres Programms war (z. B. Schnebel, Kagel, Globokar). Daniel Ott, der 1997 zwischenzeitlich unser Ensemble leitete, hat mit uns das „Theatre Piece“ von John Cage erarbeitet, sowie sein Stück „Zwischen“, das beim Festival „Zehn Jahre Zwischentöne“ in seiner vollständigen Fassung zu hören und zu sehen sein wird.

Damit schließt in gewisser Weise sich ein Kreis. „Zwischentöne“, das waren und sind nicht nur Töne, sondern immer sehr individuelle Persönlichkeiten, die in der jeweiligen Zusammensetzung dem Ensemble und seiner Musik ein unverwechelbares Gepräge und Gesicht geben.

In: Zehn Jahre Zwischentöne, Programmheft, Mai 1998

 

 
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